Erreicht eine E-Mail, mit der Einspruch eingelegt wird, nicht das Finanzamt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Hierzu muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass er die E-Mail fristgerecht an das Finanzamt abgesandt hat. Es ist nicht erforderlich, dass er die E-Mail mit einer Empfangs- oder Lesebestätigung versehen hat.
Hintergrund: Wird eine Frist wie z.B. die Einspruchsfrist versäumt, kann der Steuerpflichtige innerhalb eines Monats Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und geltend machen, dass er die Frist ohne Verschulden versäumt hat. Ein typischer Fall hierfür ist etwa eine plötzliche und schwere Erkrankung vor dem Fristablauf oder der Verlust des Briefs, der den Einspruch enthält, auf dem Postwege.
Sachverhalt: Das Finanzamt lehnte am 23.8.2018 einen Antrag des Klägers auf Änderung von Einkommensteuerbescheiden ab. Der Kläger wurde dabei von einem Steuerberater vertreten. Der Steuerberater erfuhr am 29.5.2019, dass sein Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid, den er am 30.8.2018 per E-Mail an das Finanzamt übermittelt hatte, dort nicht angekommen war. Er beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Als Nachweis legte er die E-Mail mit dem Einspruch, einen Absendungsnachweis vom 30.8.2018, 14.54 Uhr, und eine Kopie der E-Mail, die bei seinem Mitarbeiter eingegangen war, den er in „cc“ gesetzt hatte, vor; bei dem Mitarbeiter war die E-Mail jedoch erst um 15.54 Uhr eingegangen. Das Finanzamt lehnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf den Einspruch als unzulässig.
Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der hiergegen gerichteten Klage statt:
Der Kläger hat die Einspruchsfrist nicht gewahrt, da die E-Mail, mit der sein Steuerberater Einspruch einlegen wollte, tatsächlich nicht beim Finanzamt eingegangen ist. Dadurch wurde die einmonatige Einspruchsfrist versäumt. Einen Nachweis, dass die E-Mail tatsächlich beim Finanzamt eingegangen ist, konnte der Kläger bzw. sein Steuerberater nicht führen.
Dem Kläger war aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn die Einspruchsfrist ist ohne Verschulden versäumt worden. Der Kläger bzw. sein Steuerberater hat alles getan, um die Einspruchsfrist zu wahren. Der Steuerberater hat nachgewiesen, dass er eine E-Mail mit dem Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist an das Finanzamt abgesandt hat; hierzu hat er eine Kopie seiner E-Mail mit dem Absendenachweis sowie den Eingang seiner E-Mail bei dem in „cc“ gesetzten Mitarbeiter vorgelegt. Dass der Mitarbeiter die E-Mail erst um 15.54 Uhr und nicht bereits um 14.54 Uhr erhalten hat, spricht nicht dagegen, dass der Steuerberater die E-Mail mit dem Einspruch rechtzeitig an das Finanzamt abgesendet hat.
Ein Verschulden des Klägers bzw. seines Steuerberaters ergibt sich nicht daraus, dass er die E-Mail an das Finanzamt ohne Empfangs- oder Lesebestätigung abgesandt hat. Das Gesetz enthält für das Einspruchsverfahren keine entsprechende Vorgabe, dass der Einspruchsführer sich den Erhalt des Einspruchs bestätigen lassen muss.
Hinweise: Das Verschulden eines Steuerberaters wird dem Mandanten zugerechnet. Im Streitfall hat der Steuerberater aber nicht schuldhaft gehandelt, und der Kläger selbst hat auch keinen Fehler gemacht.
Weshalb die E-Mail im Streitfall beim Finanzamt nicht angekommen ist, konnte nicht geklärt werden. Es kann sich z.B. um eine technische Störung gehandelt haben, um einen Spam-Filter oder um einen Bedienfehler.
Quelle: BFH, Urteil vom 29.4.2025 – VI R 2/23; NWB